Zusammenfassung der Arbeitsgruppenergebnisse

Vorwort

Die Neuauflage der Hertensteiner Gespräche wurde anlässlich der Feierlichkeiten zum siebzigsten Jubiläum des Hertensteiner Programms am 21. September 2016 von der Europa-Union Heilbronn vor Ort in Hertenstein (CH-6353 Weggis) beschlossen.

Nach längeren internen Diskussionen um die Umsetzung und vor allem auch über deren Finanzierung wurde am 8. Januar 2017 festgelegt, dass diese zuerst in Heilbronn stattfinden und mittel bis langfristig wieder in Hertenstein selbst angesiedelt werden sollen.

Schnell war allen Beteiligten klar, dass die Hertensteiner Gespräche kein lokales Ereignis bleiben dürfen, sondern ein gesamteuropäisches Vorhaben werden müssen.

Auch waren sich alle einig, dass die erste Umsetzung vom Initiator ausgehen muss, um deren Realisierung voranzutreiben.

In den Vorbereitungsmonaten der ersten Hertensteiner Gespräche konnten Rainer Wieland MdEP (Ludwigsburg), Dr. Franziska Brantner MdB (Heidelberg), Josip Juratovic MdB (Heilbronn), Michael Georg Link MdB (Heilbronn), Florian Ziegenbalg (Stuttgart), Leonhard Reinwald (Heilbronn) sowie Bettina und Heinrich Kümmerle (Heilbronn) zur Vorbereitung und deren Ausgestaltung gewonnen werden.

Einleitung

Um die ersten Hertensteiner Gespräche anzustoßen, wurden vom Heilbronner Kreisvorsitzende am 21. April 2017 drei Arbeitstitel „Religiöse / philosophische Grundlage der EU“, „Integration von nicht kompatiblen oder neu zugewanderten Bevölkerungsteilen“ und die „Zukünftige Struktur der EU als Europäischer Bundesstaat“ für die Gespräche vorgeschlagen und alle Mitglieder der Europa-Union Heilbronn, weitere interessierte Mitbürger sowie potentielle Moderatoren aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.

Daraufhin wurde der erste Arbeitstitel „Religiöse / philosophische Grundlage der EU“ um den rechtlichen Aspekt ergänzt, dies aber auch wieder verworfen, so dass die Gespräche mit diesen drei Themen in drei Arbeitsgruppen erfolgten.

Die Diskussionen der Hertensteiner Gespräche ließen schnell erkennen, dass zu den drei vorgegebenen Themen zukünftig zwingend zwei weitere hinzukommen müssen. Erstens der „soziale Aspekt oder die soziale Ausgestaltung Europas“ und zweitens „der Mensch, seine Bedürfnisse und Ängste als Triebfeder und Grenze von Politik“.

Der soziale Aspekt oder die soziale Ausgestaltung Europas

Grundeinkommen, Mindestlohn, soziale Verantwortung aber auch Eigenverantwortung, Entmündigung und Subsidiarität sind die Stichworte, die die Diskussion hier kurz beschreiben können.

Und im Falle, dass „der Staat“ jedem Bürger sein Ein- und Auskommen sichern soll, die Diskussion, auf welcher Ebene (Gemeinde, Nationalstaat oder Europäischer Bundesstaat) die sozialen Sicherungssysteme angesiedelt werden sollen.

Der Mensch, seine Bedürfnisse und Ängste als Triebfeder und Grenze von Politik

Partizipation, Teilhabe, Angst, Anerkennung, Wut, Hass und Ignoranz sind die Stichworte die diese alle drei arbeitsgruppenübergreifende Diskussion kurz beschreiben können. Erstaunlich die Tatsache, dass dieses Thema von Bürgern verstärkt eingebracht und auch untermauert wurde, welche sich bisher nicht bei uns in Diskussionen um Europa eingebracht hatten.

Religiöse / philosophische Grundlage der EU

Moderatorin war Dr. Franziska Brantner MdB, welche durch Leonhard Reinwald unterstützt wurde, der dieses Thema auch in den vorangegangenen Monaten betreut hatte.

Von der Moderatorin wurde die Aufklärung als eine der Hauptgrundlagen aufgeführt, wobei aber angemerkt wurde, dass die europäische Idee doch weit älter und zumindest schon bei Augustinus zu verorten sei. Der heutige Humanismus wurde von keiner Seite aus in Frage gestellt, aber bei den monotheistischen Religionen kam schnell die Relevanz des Islams für Europa ins Spiel und auch die Frage, ob man denn das Christentum als eine Art Leitreligion ansehen könnte.

Die Philosophie wurde von vielen als „zu abgehoben“ bzw. zu abstrakt angesehen, um eine wirkliche Rolle zu spielen und dabei eher verstärkt auf die sehr menschlichen bis hin zu innermenschlichen Aspekte und die Wirtschaftsordnung als grundlagenbestimmend hingewiesen.

Überraschender Weise kam auch sehr schnell die geographische Komponente mit ins Spiel, die einerseits durch die gegebenen Tatsachen (Zypern, Balearen oder Überseegebiete) als auch durch das Faktum, dass sowohl Menschen als auch Kontinentalplatten sich beständig in Bewegung befinden, als für die Fragestellung nicht sehr relevant bewertet. Auch verstärkt durch die Verträge, welche bereits 1949 zum Europarat geführt hatten und Europa heute bis hin zur Straße von Alaska verorten. Zudem wurde aufgeführt, dass es bereits Diskussionen gab, welche den gesamten Mittelmeerraum zu Europa gehörig ansahen und auch darauf hingewiesen, dass bereits 1957 bei den Römischen Verträgen „Euafrika“ angedacht wurde. Zuletzt wurde dann die immer noch für die meisten Diskutanten gültige Aussage mit ins Spiel gebracht, dass „die einzige Grenze Europas die Demokratie sei“ und damit die Diskussion um die Geographie Europas beendet.

So ließ es sich aber nicht mehr vermeiden, dass dadurch wieder die rechtlichen Aspekte auch in dieser Arbeitsgruppe mit ins Spiel kamen und Europa als Rechtsgemeinschaft angesehen wurde.

Sehr schnell waren sich alle darin einig, dass man Europa und seine Grundlage nicht auf eine oder wenige Ursachen zurückführen könne und die Moderatorin wies darauf hin, dass das Motto der Europäischen Union nicht nur deshalb „in Vielfalt geeint“ sei.

Abschließend wurde von allen Teilnehmern die folgende These als Grundlage für die kommenden Diskussionen gebilligt: „Europas Grundlage ist die Vielfalt, die Toleranz auch gegenüber dem Andersdenkenden und die Erkenntnis, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben sollten.“

Integration von nicht kompatiblen oder neu zugewanderten Bevölkerungsteilen

Die Moderation dieser Arbeitsgruppe wurde von Josip Juratovic MdB übernommen.

Sehr schnell kam man auf den Punkt, dass die Diskussion um Flüchtlinge viel zu kurz gesprungen sei. Juratovic regte zudem an, dass man auch nicht von Wirtschaftsflüchtlingen, sondern eher von Armutsflüchtlingen sprechen dürfe.

Als zwingende Voraussetzung jeglicher Integration sieht er die Anerkennung der Leistungen von Neubürgern an. Wenn diese verweigert wird, produziere dies automatisch Radikalismen und die Ablehnung sich integrieren zu wollen.

Die Gruppe stellte aber auch fest, dass man „Anerkennung“ nicht geschenkt bekommt, sondern sich verdienen müsse.

Auch in dieser Diskussion kam man schnell auf die rechtlichen Aspekte und Gegebenheiten von Zuwanderung und Ausgrenzung zu sprechen. Als eine Voraussetzung, um Menschen zu integrieren, wurden in der EU einheitliche Gesetze und Ausführungsbestimmungen eingeklagt, die die Zuwanderung europaweit regeln und steuern. Damit wurde aber auch die Thematik von „Obergrenzen“ angesprochen. Eine „Obergrenze“ ist aber gemäß den Verträgen zur Europäischen Union und auch dem Grundgesetz weder legal noch legitim.

Die momentane Sparpolitik (Austeritätspolitik), besonders von Deutschland ausgehend, führe zudem zu nicht unerheblichen Einschränkungen bei den Unionsbürgern selber und würde deswegen auch die Bereitschaft, Flüchtlinge zu integrieren, eher abnehmen lassen und darüber hinaus sogar die Gefahr erhöhen, dass die Unionsbürger auf rechte Parolen ansprechen. Die Diskussionen in Deutschland um die Deutungshoheit über unsere Kultur (z.B. Leitkulturdebatte) und wer Deutscher sein darf, bestätigen diese Befürchtungen.

Für manche Diskutanten ein neuer Aspekt war die Tatsache, dass man auch Menschengruppen in unsere Gesellschaft integrieren müsse, welche schon Jahrzehnte bzw. sogar schon immer in unserer Mitte leben und sich entweder noch nicht vollständig integriert haben oder aber überhaupt nicht integrieren wollen.

Hier wurde dann um Lösungsmöglichkeiten gerungen, wie man Integration einklagen, aber auch durchsetzen könne und man kam auch in dieser Gruppe zur Erkenntnis, dass man hierbei die menschlichen Gegebenheiten unbedingt in Betracht ziehen müsse. Nicht nur Anerkennung ist dabei das Stichwort, sondern auch Ängste nehmen und verstärkt die verschiedensten Beziehungsebenen mit einzubinden. Integration sei sehr stark eine Gefühlssache und ließe sich nicht auf rechtliche oder monetäre Aspekte reduzieren.

Von Juratovic wurden dabei die kleineren Gemeinden als optimal für jegliche Integration angesehen, da diese leichter den gesamten Menschen ansprechen, diese auch schneller in die Gemeinschaft integrieren können und zudem auch den alteingesessenen Bevölkerungsteilen schnell die Vorteile funktionierender Integration vor Augen führen.

Zudem führte er an, dass oftmals von Migranten exklusiv betriebene Kultur- und Sportvereine kontraproduktiv zu allen Integrationsbemühungen seien, da sie die zu integrierenden Bevölkerungsteile von der Gesamtbevölkerung exkludieren.

Alle Diskussionsteilnehmer waren sich darin einig, dass Rechte auch Pflichten mit sich bringen und sich potentielle Neubürger schnellstmöglich in die bereits bestehenden Strukturen einbinden sollten und auch Pflichten, wie z.B. bei der Feuerwehr und Rettungsdiensten mit übernehmen müssten.

Abschließend führte Juratovic an, dass sich die erfolgreichste und schnellste Integration am Arbeitsplatz sicherstellen lässt, wenn sich alle unabhängig der Herkunft mit ihren beruflichen Problemen und Herausforderungen auseinandersetzen müssen.

Zukünftige Struktur der EU als Europäischer Bundesstaat

Moderator war Michael Georg Link MdB. Er kam sehr schnell zu der Tatsache, dass der Europäische Bundesstaat schon seit Langem rechtlich verbindlich als Ziel sowohl in den EU-Verträgen als auch im Grundgesetz festgelegt wurde.

Seine erste Schlussfolgerung, man müsse vom jetzigen Ist-Zustand ausgehend herausfinden, was für einen Bundesstaat man wolle und wie in diesem die Zuständigkeiten verteilt sein sollen. Deshalb wurde die Arbeitsgruppe in die folgenden Untergruppen geteilt:

Europäischer Bundesstaat: Welche Institutionen brauchen wir dafür?

In der Diskussion gab es aber dann doch den radikalen Vorschlag, die Europäische Union aufzugeben und völlig neu zu entwickeln. Die Diskussion dieses Ansatzes brachte zwar gute Einsichten, wie eine „neue EU“ aussehen könnte, wurde aber von den meisten Teilnehmern als nicht umsetzbar angesehen. Deshalb solle die Fortentwicklung der EU weiterhin nur auf der Basis des „jetzigen Standes“ erfolgen.

Allerdings wurde auch festgestellt, dass weder der Rat noch die Kommission eine solche Aufgabe „nebenbei“ erledigen könne.

Um eine fundierte Diskussions- und Entscheidungsgrundlage zu erhalten, sollte erneut ein Konvent einberufen werden, u.a. mit folgenden Schwerpunktaufgaben:

  • Bestandsaufnahme und Bewertung des bisher gelaufenen Integrationsprozesses;
  • Entwicklung der Grundlagen für die künftigen EU-Strukturen;
  • Darstellung der Umsetzungsschritte zur „neuen EU“.

Wie soll die Kompetenzverteilung sein?

Unstrittig war die weitere Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments (z.B. die Einräumung des Initiativrechts). Das Parlament sollte dabei und dies gemäß einer echten Gewaltenteilung zum Kontrollorgan einer künftigen europäischen Regierung ausgebaut werden.

Dafür ist auch eine europaweite Vereinheitlichung der Bestimmungen zur Wahl des Europäischen Parlaments, u.a. mit dem Ziel einer möglichst gleichgewichtigen Repräsentanz der Bürger aller EU-Mitgliedsstaaten notwendig.

Der Rat der Staats- u. Regierungschefs ist z. Zt. das Hauptorgan der EU. Die Mitglieder des Rats werden nicht unmittelbar gewählt. Sie erhalten ihre Legitimation indirekt durch die Wahlen in den Mitgliedsländern. Der Rat soll ein Teil der EU-Legislative bleiben aber zu einer „zweiten Kammer“, neben dem Europäischen Parlament werden. Deren Mitglieder wären dann in den jeweiligen Mitgliedstaaten oder gar in den jeweiligen Regionen unmittelbar zu wählen.

Alle Teilnehmer waren sich einig, dass diese Strukturänderung auf große nationale Widerstände stoßen werden.

Die EU-Kommission in ihrer jetzigen Form ist ein „Mischgebilde“ mit legislativen und exekutiven Aufgaben. Sie sollte zur europäischen Regierung (Exekutive) unter Kontrolle der Legislative umgebaut werden.

Zudem wurde die Frage gestellt, was für Aufgaben und Verantwortlichkeiten den Mitgliedsstaaten bleiben, wenn ein Bundesstaat Verantwortung übernähme und darüber hinaus auch die Regionen weiter gestärkt würden.

Nachdem die Arbeitsergebnisse vorgestellt waren, wurde die Diskussion in der Gesamtgruppe fortgeführt; wobei der Aspekt der Sanktionierung immer mehr in den Vordergrund trat.

Die fehlenden oder nicht hinreichenden Sanktionierungsmöglichkeiten von antieuropäischen Fehlverhalten innerhalb der EU sei die wesentliche Gefahr für deren Existenz.

Deshalb wurde bis zuletzt darüber debattiert, welche Sanktionierungsmechanismen und -möglichkeiten in einem Europäischen Bundesstaat zwingend vorhanden sein müssen.

Das Subsidiaritätsprinzip war ebenfalls bis zuletzt Punkt der Diskussion, hierbei besonders, auf welcher Ebene man ein europäisches Sozialsystem ansiedeln solle.

Ausblick

Die 1. Hertensteiner Gespräche haben ihr Ziel erreicht.

Man konnte keine endgültigen Ergebnisse erwarten, dies war auch von den Veranstaltern nicht beabsichtigt, sondern man wollte sich mit den ersten Gesprächen einen Überblick verschaffen, über welche Problematiken und Themengebiete man zukünftig verstärkt diskutieren muss und in welche Richtung die Bürger dabei tendieren.

Die langandauernden, vielfältigen und sehr engagiert geführten Diskussionen der 1. Hertensteiner Gespräche sprechen eindeutig für deren Fortsetzung.

Deswegen ist es unserer Absicht,

  • dieses Format in der derzeitigen Form und Dauer auch 2018 in Heilbronn fortzuführen und bis auf fünf Themengebiete zu erweitern.
  • Wir bieten den bisherigen Moderatoren an, die kommenden Gespräche in ihrem Themengebiet fortzuführen, aber auch, bilateral abgestimmt, das Thema zu tauschen oder eines der beiden neuen Themen zu besetzen.
  • Wir bieten den beiden Landesverbänden EUBW und JEF an, sich verstärkt bei den kommenden Gesprächen einzubringen.
  • Wir sind gegenüber der Beteiligung von weiteren Verbänden offen und auch bereit, die Hertensteiner Gespräche mit einem Rahmenprogramm zu ergänzen.
  • Wir regen an, die Gespräche grundsätzlich in den September zu legen, um einem anvisierten zukünftigen Ortswechsel an den Vierwaldstätter See und damit auch dem Datum der Verabschiedung des Hertensteiner Programms am 21. September 1946 besser Rechnung zu tragen.

Soziale Medien:

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