Bekommt das Projekt Cisterscapes das europäische Kulturerbesiegel?

Naturpark Stromberg Heuchelberg

Beitragsfoto: © Dietmar Denger
Text: Dietmar Gretter

17 europäische Klosterstätten bewerben sich mit dem Projekt Cisterscapes um das europäische Kulturerbesiegel

Gespannt warten der Naturpark Stromberg-Heuchelberg und seine Mitglieder, insbesondere die Stadt Maulbronn, auf die Entscheidung der Europäischen Jury zur Verleihung des Europäischen Kulturerbesiegels 2024. Gemeinsam mit 16 weiteren zisterziensischen Klosterstätten in fünf europäischen Ländern ist die Naturparkregion mit dem Nukleus Kloster Maulbronn und dem Projekt „Cisterscapes – Cistercian landscapes connecting Europe“ deutscher Kandidat für die Auszeichnung durch die EU-Kommission.

Wer Zisterzienser hört, der denkt zuallererst an Klostermauern. Und die UNESCO-Weltkulturerbestätte Kloster Maulbronn ist auch wahrlich beeindruckend. Beim Projekt Cisterscapes geht es aber nicht zuerst darum, die baulichen Einrichtungen wie die Klöster der Zisterzienser zu erfassen, sondern das gesamte Wirken der Zisterzienser in den jeweiligen Klosterstätten und in ihrer europäischen Dimension zu würdigen. Ihre Bedeutung für die Landschaft, für Landwirtschaft und Handel, Wissenstransfer und Kultur. Dabei stützt sich das Projekt inhaltlich auf vier Säulen.

An oberster Stelle steht sicherlich die europäische Dimension des Projektes. Historiker bezeichnen die Zisterzienser als „frühe Europäer“. Ausgehend vom Kloster Cîteaux gründeten die Zisterzienser ein enges Netz von Tochterklöstern, das sich über ganz Europa erstreckte. Nach einheitlichem Schema kultivierten sie sumpfige Täler und abgelegene Wälder, gründeten Siedlungen und förderten erfolgreich Landwirtschaft und Handel. Der „Konzern der weißen Mönche“ schuf vielerorts die sprichwörtlichen blühenden Landschaften, bei den örtlichen Landesherren waren die Mönche ob ihrer Pioniertaten und Innovationen meist nur allzu gern gesehene Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft. Zumal die Neuankömmlinge ohne kolonialistischen oder imperialistischen Impetus ankamen. Die Urbarmachung abgelegener Landschaften durch die Arbeit der Laienbrüder nach dem Motto „Ora et labora“ und durch den Wissenstransfer ihrer vielen landwirtschaftlichen, architektonischen und geisteswissenschaftlichen Fertigkeiten ermöglichten meist schon nach relativ kurzer Zeit erfolgreichen Handel mit den klösterlichen Erzeugnissen, die Begründung weitläufiger Netzwerke und landeskulturellen Aufschwung rund um die Klöster. Eine Haltung und Vorgehensweise, die man sich auch heute angesichts der mancherorts wahrnehmbaren „Jagd“ nach den jeweils niedrigsten Löhnen, günstigsten Steuern und schlechtesten Sozialbedingungen in Europa herbeiwünschen würde. Vom imperialistisch motivierten Überfall auf das Nachbarland in der Ukrainekrise nicht zu reden. Es fällt in Europa leicht, Beispiele für die schrecklichen Konsequenzen kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den Nationalstaaten zu finden. Das Projekt Cisterscapes kann als Gegenpol und als ermutigendes Beispiel grenzüberschreitenden europäischen Kulturerbes wirken. Die Einbindung von fünf europäischen Ländern in das von der LEADER-Region Bamberg initiierte Projekt bildet dazu sicherlich eine gute Grundlage. „Porta patet – cor magis“, das Tor steht offen, mehr noch das Herz: der Wahlspruch der Zisterzienser zeugt von Gastfreundschaft in Haus und Herz gegenüber Menschen, die diese nötig haben und suchen. Vielen eher engherzigen Diskussionen im heutigen Europa würde dieses einladende Motto menschlichen Zusammenlebens guttun.

Die Handreichung für Bewerber um das Europäische Kulturerbesiegel rät dazu, „eine zu starke Fokussierung auf einen touristischen Adressatenkreis“ zu vermeiden. Gleichwohl ist die touristische Dimension des Projektes nicht zu vernachlässigen. Davon zeugen alleine die heute schon jährlich mehr als 200.000 Besucher im UNESCO-Welterbe Kloster Maulbronn. Das Projekt Cisterscapes will aber nicht nur diejenigen ansprechen, die der „besterhaltenen mittelalterlichen Klosteranlage nördlich der Alpen“ einen (Tages-)Besuch abstatten möchten. Zwar gibt es allerorten in der Region sehenswerte bauliche Zeugnisse des zisterziensischen Wirkens, von früheren Grangien wie Steinbachhof (Gündelbach), Füllmenbacher Hof (Diefenbach) oder Elfinger Hof bis zum beeindruckenden Oberderdinger Amthof. Allesamt einen Ausflug auf den Spuren der Zisterzienser wert. Trotzdem geht es im Projekt nicht darum, „Steine zu suchen, die noch etwas nach Zisterzienser riechen“, wie es der Verfasser dieses Beitrags in einem der Projektworkshops formulierte. Dies würde bereits all diejenigen aus dem Projekt ausschließen, bei denen zisterziensische Bauwerke nicht oder nicht mehr vorhanden sind. Vielmehr gilt es, mit dem Projekt jenen aktuellen Trend nach Tourismus und Spiritualität aufzugreifen, der sich etwa in einer annähernden Verdreifachung der Pilgerzahlen auf dem Jakobsweg zwischen 2008 und 2018 ablesen lässt. Das Kloster Maulbronn lässt noch heute die Spiritualität der Mönche spüren, die dort vor Jahrhunderten schweigend gewandelt sind. Und es bedarf keiner allzu großen Anstrengungen, dieses Gefühl, diesen Zustand der Kontemplation und Selbstbesinnung auf eine Wanderung durch die ausgedehnten Naturparkwälder zu übertragen. Aus vielen touristischen Studien lässt sich ein großes Bedürfnis nach Stille und Entschleunigung, nach Selbstfindung und Abstand vom Alltag ableiten und belegen. Reizüberflutung, Konsum, Verdichtung der Arbeit: die Menschen kommen aus dem „Viel“ und suchen im Urlaub auf der Flucht aus dem Hamsterrad des Alltags immer häufiger das „Wenig“.

Zurecht spielt als dritte Säule im Projekt Cisterscapes das Thema Bildung eine maßgebliche Rolle. Die Erfolge von Populismus und Propaganda fußen entscheidend auf Pauschalisierung, Unkenntnis und Distanz. Dem gilt es durch entsprechende Bewusstseinsbildung, persönliche Begegnungen und positive Beispiele entgegenzuwirken. Mit dem Elysee-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich legten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle 1963 den Grundstein dafür, dass die „Erbfeindschaft“ der beiden Länder durch mannigfaltige Formen der Begegnung und des Austausches auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene abgelöst wurde. Nach 60 Jahren, in denen eine gemeinsame Währung in Europa, Urlaubsreisen ohne Grenzbäume oder Freizügigkeit bei der Wahl des Studienortes etc. vielen Jugendlichen zur Selbstverständlichkeit geworden sind, andererseits allerorten nationalistisches und antieuropäisches Gedankengut aufkeimt, scheinen neue Impulse für eine Kultur der Begegnung mehr als angebracht. In der EKS-Bewerbung nimmt das Thema Bildung mit den Facetten europäische Identität, Migration und Kulturaustausch deshalb breiten Raum ein. Von der Multiplikatorenfortbildung bis zum mehrsprachigen Social-Media-Auftritt, vom Zisterzienser-Erlebnistag bis zur Ausweitung vorhandener Schulaustauschangebote auf europäischer Ebene sind unterschiedliche altersangepasste Angebote für Jugendliche und Erwachsene vorgesehen.

Der bis dato greifbarste Teil des Cisterscapes-Projektes ist der „Weg der Zisterzienser“, ein mehr als 6000 Kilometer langes Netz, das die beteiligten Klosterstätten durch Europa verbindet. Zielpunkt ist Cîteaux, das erste Kloster des Ordens. Auf dem Weg dorthin folgen die Routen den früheren Wegen der Äbte der Klosterlandschaften des Cisterscapes-Netzwerkes zu deren jährlicher Versammlung, dem Generalkapitel. Der „Weg der Zisterzienser“ ist nicht mit einem eigenen Markierungszeichen gekennzeichnet, er verläuft auf bereits markierten Wanderwegen. Zur Orientierung finden sich auf www.zisterzienserweg.eu die GPX-Daten der Strecken sowie Wanderkarten und Tipps für Abstecher zu interessanten Elementen der Klosterlandschaften. Anlässlich der Eröffnung der hiesigen Teilstrecke des Weges im Mai dieses Jahres wurde am Kloster Maulbronn eine Infostele zu dem neuen europäischen Fernwanderweg errichtet und enthüllt.

Die Europa-Union Baden-Württemberg unterstrich mit dem Beschluss der Landesversammlung vom 11. März 2018 „Europas kulturelles Erbe – Europas Zukunft!“ ihr Ziel, einen Beitrag zur Debatte um die Zukunft Europas auf Basis der identitätsstiftenden europäischen Werte zu leisten. Der Beschlusstext endet mit einem Katalog von Forderungen und Maßnahmenvorschlägen wie z. B. Diskussions-Veranstaltungen an Orten, die symbolisch für das gemeinsame Kulturerbe stehen, Mitwirkung von Jugendlichen im Rahmen von grenzüberschreitenden Austauschprojekten an Projekten zur Förderung des kulturellen Erbes Europas, Herstellung eines europäischen Bezugs beim Tag des offenen Denkmals, um so die Vielzahl der Besucherinnen und Besucher auf die europäische Dimension unseres Kulturerbes hinzuweisen, Erhöhung der Zahl grenzüberschreitender Kulturstraßen u. a. m. Es kann nicht verwundern, dass bei der ersten Kontaktaufnahme zwischen den regionalen Initiatoren von Cisterscapes und der Europa-Union, Kreisverband Heilbronn, der Satz fiel: „Sie treffen bei uns auf offene Türen, die müssen Sie nicht einmal einrennen“.

Aktuell finden die Weichenstellungen für die künftigen Strukturen des Stättenmanagements im Bereich der Zisterzienserregion Maulbronn/Stromberg statt. Es ist für die Träger des Cisterscapes-Projektes mehr als ermutigend, mit der Europa-Union um eine Institution auf allen Ebenen des Projektes zu wissen, deren Ziele in vielerlei Hinsicht große Schnittmengen mit denen von „Cisterscapes“ aufweist. Auf gute Zusammenarbeit!

Weitere Informationen zum Projekt „Cisterscapes“ unter www.cisterscapes.eu oder auf den Social-Media-Kanälen zum Projekt.

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